Triggerwarnung: Es geht um Schwangerschaftsabbrüche und Traumata. Meine Texte ersetzen niemals eine Beratung durch psychologische Fachkräfte, sondern beschreiben ausschließlich meine persönlichen Erfahrungen und Berichte, die mich durch andere Frauen erreicht haben.
Ich habe hier schon oft über das Thema Abtreibung geschrieben und ihr wisst: Ich bin für die freie Wahl der Frau! Das kann ich gar nicht genug betonen. Mir ist aber auch wichtig darüber zu schreiben, was so ein Erlebnis auslösen KANN, auch wenn man mit seiner Entscheidung absolut sicher ist. Jede Frau macht andere Erfahrungen.
Nach meinem Schwangerschaftsabbruch hätte ich es niemals gewagt von einem Trauma zu sprechen. Ein Trauma, das haben doch nur Menschen, die viel schlimmere Situationen durchleben mussten, oder? Zum Beispiel einen Krieg oder Gewalt… Etwas, wofür sie sich nicht freiwillig entschieden haben. Anders als ich, denn ich wollte es doch so. Ich habe mich selbst in diese Situation gebracht. Ein Gedanke, der vielen Frauen in dieser Zeit ihres Lebens durch den Kopf geht, ist: „Ich habe kein Recht auf diesen Schmerz.“ Aber das ist nicht wahr.
Den Moment des Abbruchs – vor allem wenn er mit einer Absaugung durchgeführt wird – können wir als Gewalt empfinden. Es ist ein Eingriff an unserem Körper. Ich persönlich habe das über Jahre verdrängt. Ich habe zwar darüber geschrieben, ich habe den Tag selbst als einen der schlimmsten in meinem Leben in Erinnerung, ich weiß noch alles und trotzdem… Ich habe nicht verstanden, was mit mir passiert ist, langfristig.
Nach 12 Wochen Schwangerschaft hatte ich eine Beziehung zu dem Lebewesen in mir aufgebaut. Das wollte ich nicht, da mir ganz klar war, dass es kein lebendiger Teil meines Lebens werden sollte. Aber es passierte dennoch. Mein Körper veränderte sich und wurde zur perfekten Umgebung für neues Leben. Ich konnte spüren, dass ich nicht mehr alleine war. Das war faszinierend und beängstigend. Dem Embryo gegenüber hatte ich nur positive Gefühle, sogar beschützende Instinkte. Das hört sich total abwegig an, das ist mir klar. Genau da beginnen ja auch diese absolut gegensätzliche Gefühle, die Frauen oft spüren, wenn sie sich für einen Abbruch entschieden haben. Das ist keine Entscheidung aus Hass und Egoismus.
Für 12 Wochen war ich ein ganz besonderes und funktionierendes Ökosystem. So ging ich am morgen des geplanten Abbruchs auch in die Praxis meines Arztes. Ein paar Stunden später war ich nicht nur leer, sondern war dem Leben und dem Tod auch nie näher. Natürlich habe ich bis dahin schon einige Todesfälle miterlebt. Doch das war etwas ganz anderes. Beides war auf einmal in mir selbst. Ich habe es durchlebt. Und bis heute ist beides in mir und ein Teil von mir geworden.
Das konnte ich lange nicht in Worte fassen oder ansatzweise begreifen. Mit mir persönlich hat das etwas gemacht, seelisch und auch körperlich. Es gab einen Eingriff, nachdem ich Verletzungen an der Gebärmutter hatte. Mein Körper hat eine Gewalterfahrung gemacht und es war ihm egal, ob sie aus meiner eigenen Entscheidung entstanden ist oder nicht. Ich konnte nicht mit meinen Gefühlen und Gedanken zurecht kommen, habe es sehr schnell verdrängt. Es war zu viel, zu verwirrend und es war niemand da, der mich verstehen konnte. Außerdem hatte ich zu dem Zeitpunkt noch so viele andere Dinge, um die ich mich kümmern musste, vor allem die Jobsuche nach meinen Abschlussprüfungen.

Und so rannte ich durch diese Lebensphase, an der Hand nur mich selbst und die Gewissheit, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Genau diese Gewissheit war auch mein Anker im Leben. Als sie sich einstellte, konnte ich mir dankbar sein. Und doch weiß ich heute: Ich habe ein Trauma. Ich habe es nicht 100%ig verarbeitet, auch wenn ich das manchmal denke. Es holt mich immer wieder ein. Manchmal bin ich traurig und wütend. Noch öfter kann ich einfach nichts spüren. Gar nichts. Dann wünsche ich mir wenigstens die Trauer und die Wut zurück. Ich weiß inzwischen aber auch, dass ich das Recht habe fröhlich zu sein und dass ich diesen Teil meines Lebens auch mal vergessen darf und muss. Dass ich meine Gefühle mitteilen und mir die Hilfe nehmen darf, die ich brauche. Ich weiß, dass ich lebendig bin und mein Leben gestalten kann. Und auch wenn das ein Prozess ist, von dem ich nicht weiß, wann er abgeschlossen ist, weiß ich, dass es irgendwann gut sein wird. Wirklich gut.
Schwangerschaftsabbrüche können ganz unterschiedlich verlaufen und wahrgenommen werden. Manchmal ist es ganz problemlos und in dem Moment, in dem es zu Ende ist, auch schon für immer erledigt. Manche brauchen ein Ritual, eine Beerdigung, Briefe, einen Namen,… Andere Verläufe sind problematischer und hinterlassen Spuren. Nichts davon ist falsch und für nichts sollten wir uns schämen.
Ob ich will oder nicht: Für einen kleinen Moment war ich eine Mutter. Und dann war ich es nicht mehr. Wie meine Seele damit umgeht liegt nicht in meiner Hand. In meiner Hand liegt aber, ob ich daran den Rest meines Lebens immer wieder leide oder ob ich einen Weg finde mein Trauma zu verarbeiten. Ich bin der ganz festen Überzeugung, dass mir diese Erfahrung viel Positives gebracht hat und ich heute nicht da wäre, wo ich bin, wenn ich dieses Kind bekommen hätte. Auch wenn ich heute mal wieder die Leere und die Übelkeit spüre, weiß ich, dass ich mein bestes getan habe und auch weiter tun werde. Und ich sehe, dass es gut ist 😉
Euer Otter